HOUSE OF HORROR.
Theater. Frauen. Macht.

Von Christine Lang und Volker Lösch.
Uraufführung Schauspielhaus Bonn 2019; Inszenierung von Volker Lösch

 

Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(Artikel 3 Grundgesetz, Zusatz 1994)


Die juristischen Gesetze für die Gleichberechtigung mögen gut sein, aber kulturell ist die Gleichberechtigung von Frauen weiterhin nicht durchgesetzt.

„Eine Frau soll man sehen, nicht hören. Sophokles / Stehen Frauen an der Spitze der Regierung, so ist der Staat in Gefahr. Hegel / Wenn Frauen nicht mehr wissen, was sie tun sollen, ziehen sie sich aus, und das ist wahrscheinlich das Beste, was Frauen tun können. Beckett / Es gibt drei Arten von Frauen: die Schönen, die Intelligenten und die Mehrheit. Rainer Werner Fassbinder ...“

Mit Zitaten dieser Art lassen sich problemlos Bücher füllen.

MISOGYNIE

Bereits die frühen Schöpfungsgeschichten unserer griechisch-antiken-christlichen Kultur, die vom „Sündenfall“ der Menschen erzählen, lasten die Schuld an allem daraus resultierenden Elend und Leiden den Frauen und ihrer Charakterschwäche an. In der jüdisch-christlichen Tradition muss dabei Eva als Übeltäterin herhalten, in der griechischen Tradition Pandora.

„So brachte die Frau / das Weib / in Gestalt der Pandora / das Unglück über die Menschheit.“

Von Beginn der Literatur an scheint die Abwertung der Frau und alles Weiblichen auf der kulturellen Agenda zu stehen. Die Misogynie hat dabei im Verlauf der Literaturgeschichte ihre Hochs und Tiefs – vor allem während sich neu konstituierender Gesellschafts- und Wirtschaftsformen und in Zeiten weiblicher Emanzipationsprozesse läuft sie zur Hochform auf. Zur Zeit erleben wir, als Reaktion auf #metoo und aktuelle emanzipatorische Bestrebungen von Frauen, eine Renaissance des Frauenhasses. Dieser äußert sich durch Shitstorms in den sozialen Medien als Reaktion auf öffentliche Äußerungen von Frauen, ebenso wie in der konkreten Gewalt gegen Frauen. Im Jahr 2017 wurden in Deutschland 149 Frauen getötet, meistens von ihren (Ex-)Partnern. Das bedeutet, alle zwei bis drei Tage stirbt eine Frau durch Männergewalt.

„Das Ganze ist eine Art Pyramide. Die hat vier Stufen. Die niedrigste Stufe sind die Sachen, die jede Frau jeden Tag erlebt. Blicke, Kommentare, Männer, die einen unterbrechen. Dann kommt Stalking und jede Art von struktureller Gewalt. Der Übergang zu körperlichen Übergriffen ist fließend. Zwangsprostitution, Vergewaltigung und Mord sind an der Spitze.“

THEATER. FRAUEN. DIE STADT.

„Dieses Liebsein, Bravsein, immer das Gesicht wahren. Viele Frauen erzählen, dass man ihnen in der Kindheit schon gesagt hat: Sei mal nicht so laut. Zieh dich zurück. Such die Schuld bei dir.“

Geschlechtsspezifische Diskriminierung ist ein strukturelles, gesamtgesellschaftliches Phänomen. Im Zuge der Recherchen für das Stück haben wir mit Menschen gesprochen, die im privaten und beruflichen Bereich Erfahrungen mit diesem Thema machen mussten, und auch mit Menschen, die sich dagegen engagieren. So wurden zahlreiche Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern von Bonner Institutionen geführt. Dabei hat sich gezeigt, dass in der Stadt ein gutes Netz von Institutionen existiert, die sich für Frauen und von Gewalt Betroffene einsetzen: die Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt, FEMNET e. V., die Frauenhäuser, die Gewalt-Prävention der Polizei, der Weiße Ring, die Täterberatung, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt und viele mehr.

„Wir von der Täterberatung gehen davon aus, dass die Gewalt, die die Männer ausgeübt haben, erlerntes Verhalten ist, und dass sie es auch wieder verlernen können. Wir versuchen, die Klischees der Männer- und Frauenbilder aufzubrechen. Täterberatung ist auch Opferschutz.“

In den Gesprächen hat sich herausgestellt, wie vielschichtig Diskriminierung und Machtmissbrauch sind und wie subtil sie oft beginnen. Die Opfer sind den Tätern meist emotional und/oder strukturell ausgeliefert. Zudem schweigen viele aus Angst vor negativen Konsequenzen oder davor, dass ihnen nicht geglaubt wird. Das Schweigen verhilft den Tätern zu einer noch überlegeneren Position. Auch in der Arbeitswelt spielen Diskriminierung und Machtmissbrauch eine große Rolle, vor allem wenn er vom Chef ausgeht, ist man im speziellen Maße ausgeliefert. Im Zuge der Gespräche sind uns sechs Frauen begegnet, die sich bereit erklärt haben, auf der Bühne als Stellvertreterinnen und Repräsentantinnen von Bonner Frauen zu agieren und von der Arbeit der Institutionen, Machtmissbrauch und Gewalterfahrungen zu erzählen.

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Das Theater nimmt für sich in Anspruch, gesellschaftskritisch und innovativ zu sein: Missstände zu benennen und der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Doch hinter der Bühne besteht dieselbe Ungleichheit wie in allen anderen Bereichen der Gesellschaft. Das Theater ist unkritisch gegenüber den eigenen Machtstrukturen. Männer entscheiden, Frauen arbeiten und flüstern zu.

Der Frauenhass manifestiert sich in unserer Kultur auch in den Frauenbildern der darstellenden Künste, die gegen eine mögliche Emanzipation der Frau aufgerichtet werden. Kaum ein Fernsehabend ist ohne eine leidende, getötete und/oder vergewaltigte Frau zu erleben; im Kino hat der Frauenmörder anhaltende Konjunktur; auf den Bühnen erlebt man zur Genüge „archaische Männlichkeit“ und Männerfiguren, die ihre inneren Konflikte durch Gewalt gegen Frauen entäußern.

„Glaubt mir, Madame, unser Leben ist nur wenig wert. / Unser Leben ist auch den Dichtern nur wenig wert.“

Auf den Bühnen sind es die kanonischen Stücke, die „Klassiker“, in denen Gewalt gegen Frauen geradezu zelebriert wird. Kaum eine der Frauenfiguren des Kanons überlebt das Ende ihres Dramas; sie werden ermordet oder bringen sich selber um: Antigone, Penthesilea, Klytaimestra, Lulu, Stella, Johanna, Emilia Galotti, Miss Sara Sampson, Fräulein Julie, Hedda Gabler, Dantons Julie, Woyzecks Marie ...

Männer haben Frauenfiguren vor allem aus ihrer Perspektive geschrieben; so geraten diese in der besagten Dramatik „unter die Räder“; an ihnen manifestiert sich vor allem das Leiden der Männerfiguren. In Shakespeares Titus Andronicus wird Lavinia vergewaltigt, damit sie ihre Peiniger nicht verraten kann. Zudem werden ihr (wie ihrer kulturhistorischen Vorgängerin Philomele) die Zunge herausgeschnitten und zusätzlich die Arme abgehackt. Als es ihr dennoch gelingt sich mitzuteilen, hilft ihr das wenig: Vater Titus erträgt „ihre Schmach“ nicht und ersticht sie. (Lessing geht später mit Emilia Galotti einen Schritt weiter und schreibt seine Frauenfigur so, dass sie selbst von ihrem Vater erdolcht werden will...)

„Titus: Das Mädchen soll die Schande nicht überleben / weil man mit Gewalt ihre Ehre nahm / des Vaters Schmerz nicht erneuern durch ihr Weiterleben / so stirb Lavinia / und deine Schande mit dir / mit deiner Schande / soll auch der Kummer deines Vaters sterben. // Vergewaltigt. / Büßen. / Dem Tode geweiht. / Erdolcht. / Erhängt. / Vergiftet. / Verbrannt. / Geopfert. / Vernichtet.“

Die symbolische Gewalt gegen Frauen manifestiert sich zumeist in der Darstellung sexueller Gewalt. Die Vergewaltigung als Motiv in den Künsten entspricht einem Ritual, mit dem Männeridentität als archaisch und mächtig konstituiert wird und durch das Frauen „auf ihren Platz verwiesen“ werden. An Männer adressiert, stellt sich die Vergewaltigungsdarstellung als kritischer, anti-bürgerlicher Tabubruch dar, aus weiblicher Sicht aber gehört sie zum Repertoire der Warnungen vor der Vergewaltigung. Sie bringt implizit zum Ausdruck: Du bist vergewaltigbar! Und: Zieh dich zurück aus der Öffentlichkeit.

„Regisseur: Der Zuschauer soll abgestoßen und geschockt werden, um die Gewalt in seinem eigenen Kontext dann abzulehnen. Schauspielerin: Seit fünf Spielzeiten werde ich an den Haaren durch die Inszenierungen geschleift! Ihr wollt Gewalt darstellen, aber tut mir selber Gewalt an. / Schauspielerin: Draußen fragt auch niemand die Frauen, ob es weh tut. Wir müssen das richtig zeigen, das passiert doch täglich!“

Das kulturelle Gedächtnis des Theaters ist bevölkert von toten und vergewaltigten Frauen:

„Euer Theater ist auf unserem Grab gebaut!“

GEISTER AUF DER UNTERBÜHNE. [view video]



„Gretchen: Will nicht mehr sühnen! Will nicht mehr wahnsinnig sein! Will mein Kind nicht mehr töten, will keinen großen Meister mehr anhimmeln! Will nicht mehr schwach sein, naiv sein, klein sein, ausgeliefert sein! Will nicht gerichtet sein, will nicht gerettet werden! Lulu: Verprügelt, vergewaltigt und vernichtet. Mir wird der Bauch aufgeschlitzt, die Gebärmutter herausgerissen. Damit das Tier in ihm endlich schweigt. Ich habe es so satt. Dieses ewige zum Leben erweckt werden, allein um gleich wieder zu sterben. Ich schreie! Schreie, bis euch die Ohren bluten!“

Wir danken allen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern:

Alena Grimm und Karim Kerbache von der ASB-Täterberatung in Bonn, dem AStA der Universität Bonn, Conny Schulte und Heike Fröhlich von der Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt, Dr. Gisela Burckhardt und Katharina Edinger von FEMNET e. V., Marianne Pitzen vom Frauenmuseum Bonn, Katja Schülke von der Gleichstellungsstelle der Stadt Bonn, Irmgard Küsters und Kerstin Seiffert von der Polizei Bonn, Gudrun Angelis und Gianna Rodriguez von Solwodi Deutschland e. V., Regina Wollschläger vom Sozialdienst katholischer Frauen e. V., Dr. Ursula Sautter von UN Women, Dr. Alexander Poretschkin und Barbara Lillpopp von Weisser Ring e. V., Katja Dörner, Sabine Dowling, Andrea Rupp, Almut Schnerring, Sascha Verlan und allen weiteren Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern.