DIE RATTEN von Gerhart Hauptmann

Eine Inszenierung von Volker Lösch am Düsseldorfer Schauspielhaus 2014/15, nach einer Textfassung von Volker Lösch und Christine Lang

 

Foto: Sebastian Hoppe

 

Text aus dem Programmheft von Christine Lang:

 

Erste Szene, Hauptprobe auf der Bühne: Der Regisseur Harro Hassenreuter inszeniert Schillers Braut von Messina mit den Schauspielern Jettel, Käferstein, Kegel und seiner Frau Therese Hassenreuter:

Schön ist des Mondes / mildere Klarheit . Unter der Sterne / blitzendem Glanz . Schön ist der Mutter . liebliche Hoheit ! Zwischen der Söhne / feuriger Kraft . Nicht auf der Erden ist - Ihr Bild . und ihr Gleichnis zu sehen . // Hoch auf des Lebens / Gipfel gestellt ! Schließt sie / blühend ! / den Kreis des Schönen . Mit der Mutter / und ihren Söhnen ! Krönt sich // die herrlich . vollendete Welt !

Der Regisseur legt Wert auf Würde, Schönheit, edle Form und ästhetische Vollendung. Er bezieht sich auf den Ausdruck und den Zeitlosigkeit erhebenden Anspruch des Idealismus, dazu geht es ihm um Handwerk und künstlerische Leistung. Konkret verweist Hassenreuter auf die Schauspielerregeln Goethes. Für ihn ist Goethe „Anfang und das Ende aller Kunst“ – eine Aussage, die durchaus die Ansichten des älteren Gerhart Hauptmann reflektiert.

„Man hat würdige Charaktere vorzustellen, es geht um nachahmende Erscheinungen, und nicht um platte Wirklichkeit.“ (Goethes Schauspieler-Regel Nr. 91)

 

Foto: Sebastian Hoppe

Während der Probe kommt es zum Eklat. Der Schauspieler Erich Spitta weigert sich weiter zu spielen und den aufgestellten Regeln zu folgen: Das Gestelzte, alles Rhetorische liege ihm nicht; er liebe überhaupt den ganzen „sonoren Bombast“ der Braut von Messina nicht... Spitta, das Alter Ego des jungen Gerhart Hauptmann, findet, dass etwas ganz anderes auf die Bühne gehöre: Das Leben! Die Sprache des Lebens – und die Gegenwart! Spitta hört auf, Schauspieler zu sein, er wird nun seinerseits Regisseur. Er transformiert zu einer Art „Modellkünstler des Naturalismus“ – der den Naturalismus ab jetzt durch das 20. Jahrhundert in unsere Gegenwart tragen wird.

 

„Echte Dramen sind immer Gegenwart. Gegenwart ist ihr Wesen.“ (Gerhart Hauptmann)

 

Nimmt man Gerhart Hauptmann hier beim Wort, liegt die Frage nahe: Wie soll man mit Klassikern der Vergangenheit umgehen? Wie umgehen mit dem spät-naturalistischen, 1911 uraufgeführten Drama Die Ratten? Kann man die Geschichte von Mutter John heute überhaupt noch ernst nehmen? Entsprechen die damaligen sozialen Probleme denen von heute? Was ist an den Ratten noch aktuell, und wie kann man die im Drama verhandelten sozialen Konflikte von damals in die Gegenwart übersetzen; wie sich das Drama für die zeitgenössische Rezeption aneignen?

 

„Originalität ist das, was man hat und nicht verlieren kann. Selbst wenn man Schopenhauers Satz anerkennt, „daß sich alles echte, d.h. moralische Eigentumsrecht ursprünglich einzig und allein auf Bearbeitung gründet.“ (Gerhart Hauptmann)

 

„Warum für diese Stücke historischen Blick, seine Schwäche betreffend, bemühen, anstatt ihn ihnen zur Verfügung zu stellen?“ (Bertolt Brecht)

 

Die Ratten

 

Die Ratten gehört seit langem und immer noch zu den etablierten Stücken auf deutschsprachigen Bühnen. Es ist kein rein naturalistisches Drama, sondern eher ein Drama über den Naturalismus selbst, indem es über zwei Erzählebenen unterschiedlicher Zuordnung (die um Harro Hassenreuter und die von Mutter John), „das Verhältnis von Tragödie und Komödie in sich reflektiert und damit auch über das Verhältnis von Kunst und Leben beziehungsweise Wirklichkeit nachzudenken empfiehlt“ (Wilhelm Große). Zudem scheint sich in den beiden Ebenen und den mit ihnen verknüpften ästhetischen Positionen das dialektische Verhältnis der „inneren Dichterstimme“ Gerhart Hauptmanns widerzuspiegeln; Zeit seines Lebens nahm Hauptmann eine zwischen unterschiedlichen ästhetischen und politischen Haltungen pendelnde Position ein. Zudem ist es ein kompliziert gebautes Stück, das zu einer angemessen komplizierten Adaption herausfordert.

 

„Die Idee des Dramas bestand aus dem Gegensatz zweier Welten und hatte diese beiden Welten zum Ausgangsgrund. (...) Allerhand Verflechtungen indessen, mechanisch und ideell, bringt ihnen unbewußt das Schicksal in ihre Beziehungen, und diese Verflechtungen und das Unbewußte dieser Verflechtungen stellen gleichnisweise etwas von dem tragikkomischen Gehalt des blinden menschlichen Daseins dar.“ (Gerhart Hauptmann)

 

Exkurs: Naturalismus

 

Das Programm des Naturalismus, das sich in schriftstellerischer Praxis und Dramen aber auch theoretischen Essays manifestiert, und dessen Kernzeit in den späten 1870er bis Mitte der 1890er Jahre zu verorten ist, wird von drei zentralen Themenfeldern bestimmt (vgl. Peter Sprengel): Es ist erstens die Frage nach der politisch-sozialen Wirklichkeit im neu beginnenden Industriezeitalter, wobei hier zwei Grundfragen im Zentrum stehen, die nach der Geistesfreiheit und die nach der „sozialen Frage“. Die Industrialisierung war mit vielen sozialen Umwälzungen verbunden, der Entstehung der Arbeiterschaft, der Entstehung der Massengesellschaft. Der zweite Bezugspunkt des Naturalismus ist die naturwissenschaftlich-technische Realität dieser Epoche. Er ist die künstlerische Antwort auf die Entstehung der modernen Naturwissenschaften, vor allem der Chemie und Biologie. Im Naturalismus wird der Mensch durch Evolution (Darwin) und Psychologie (Freud) als Resultat der sozialen Determinierung begriffen. Dazu behaupten naturalistische Künstler, die Wirklichkeit möglichst genau, mit geradezu wissenschaftlichen, oder konkreter, mit einem fotografischen Blick wiederzugeben. Das dritte Themenfeld des Naturalismus ist die Entwicklung einer ästhetisch-künstlerischen Konzeptionen für eine neue Dichtung. Der Naturalismus verabschiedete sich im Drama von Vers und Strophe, von der im Idealismus repräsentierten formalen Sprache und bringt „die Sprache des Volkes“, eben der Menschen von der Straße, auf die Bühne. Für die naturalistischen Dichter stand vor allem die Forderung nach der Darstellung sozialer Wirklichkeiten und darüber hinaus auch nach einem sozialdemokratischen Engagement der Kunst im Zentrum.

 

Im Verlauf des 20. Jahrhunderts erlebte die naturalistische Ästhetik diverse Konjunkturen: Auf der Bühne in den frühen 1950er Jahren durch das Interesse Bertolt Brechts, der trotz seiner Vorbehalte gegenüber der naturalistischen Ästhetik, die er als letzte Spätform des aristotelischen Illusionstheaters verstand, zwei Stücke Hauptmanns (Biberpelz und Roter Hahn) bearbeitet hat, um sie in seinem Sinne, „politisiert“ auf die Bühne zu bringen (vgl. Klaus-Detlef Müller). Brechts wesentliche, in die Dramaturgie der Stücke von Hauptmann eingreifende Bearbeitung zielt auf den Umstand, die Menschen nicht nur als durch soziale Determination und von gesellschaftlichen Umständen gebeutelt darzustellen, sondern zu zeigen, dass sie lernfähig sind und ihr „Schicksal“ auch in die eigene Hand nehmen könnten: „Was ist, war nicht immer und wird nicht immer sein.“ (Bertolt Brecht)

 

„Die Bruckner und Brecht wissen es hoffentlich selbst, daß sie Hauptmann ihr bestes verdanken.“ (Thomas Mann)

 

Der Naturalismus hat nichtsdestoweniger, wie auch Brecht es beschreibt, den Beginn der Moderne und des neuen Theaters eingeläutet. Mit ihm wurde eine neue gesellschaftliche Funktion des Theaters angestrebt: der Versuch die Realität zu meistern. Der Naturalismus machte zwar historisch bald die Bühnen frei für radikalere Experimente, aber er wanderte dann als ästhetischer Ausdruck in eine andere Kunstform, ins Kino. In den 1940er Jahren entstand hier der Italienische Neorealismus, der auf den gleichen Prämissen beruht wie das künstlerische Manifest des literarischen Naturalismus, und der immer wieder bis in die Gegenwart filmkünstlerische Nachfolger nach sich zieht. Gerhart Hauptmanns Werk selbst erlebte im übrigen zahlreiche filmische Adaptionen, sowohl in der Zeit des Nationalsozialismus, als auch im Fernsehen der DDR und im Kino der BRD (eine Tatsache, die eventuell dem „Allgemeingültigen“ in Hauptmanns Werk und den Positionswechseln Hauptmanns selbst geschuldet ist?). Hauptmann selber hat sich auch mit dem Verfassen von Drehbüchern beschäftigt, damals jedoch noch für den Stummfilm (vgl. Michael Griske).

 

Spitta beschließt, aus den Erzählungen der Gegenwart eine Story zu improvisieren und dreht eine Fernsehserie mit den gecasteten Müttern als Darstellerinnen: „MÜTTER“. Es geht Spitta zunächst auch darum, „Kunst für alle“ zu machen, von der niemand ausgeschlossen ist. Der Plot: Jette John (Bianca Bruchmann) hat der jungen polnischen Migrantin Pauline Piperkarcka (Yasmin Engizek) ihr Baby abgekauft und präsentiert es ihrem Mann Paul (Moritz Otto) als das eigene. Er, ist ahnungslos und findet, dass der Kleine ihm wie aus dem Gesicht geschnitten sei. Als ihre Nachbarin Selma (Magdalena Kicala) mit ihrem kranken Kind, wie gewohnt, hereinschneit, schmeißt Jette diese überraschend aus der Wohnung. Jette sorgt sich, dass ihr Kind sich bei dem kranken Kind von Selma anstecken könnte; sie hat aber auch Angst, dass Selma, die um Jettes Geheimnis weiß, dieses an Paul verraten könnte...

 

...to be continued.

 

 

Video-Einspieler "Mütter - ein Film von Erich Spitta" (Regie: C. Lang / J. Müller)

 

Hassenreuter über Spittas Scripted Reality: „Was da alles schleicht, kriecht, ächzt, seufzt, schwitzt, schreit, flucht, lallt, hämmert, hobelt, stichelt, stiehlt – was da an Not, Hunger und Elend existiert, und an lasterhaftem Lebenswandel geleistet wird – das ist auf keine Kuhhaut zu schreiben!“

 

Um sich künstlerisch weiterzuentwickeln und das recherchierte Material und die Lebenserfahrung „da draußen“ auszuwerten, kehrt Erich Spitta nach seiner Fernseherfahrung ans Theater zurück und verfasst nun aus den Geschichten der Mütter ein Stück und bringt dieses mit einer ausgefeilten Sprache auf die Bühne. Spitta wird vollends zum künstlerischen Autor. Er kann seine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen für das Projekt gewinnen:

 

Alice Rütterbusch zu Hassenreuter: „Ich kann jedenfalls keine stichhaltigen Gründe dafür finden, warum Spitta seine Kunst nicht auch auf der Bühne ausüben könnte!?“

 

Spittas Experiment II

 

„Hauptmanns größte und bedeutendste Tragikkomödie, eines seiner bedeutendsten Dramen überhaupt, erweist sich als Dichtung über Dichtung, als Drama über das Drama.“ (Gerhard Kaiser)

 

 

Foto: Sebastian Hoppe

 

Frau Hassenreuter übernimmt in Spittas erstem Bühnendrama die Rolle der Jette John, Hassenreuters Geliebte Alice Rütterbusch die ihrer Widersacherin Piperkarcka; Käferstein spielt Selma, Bruno wird von Kegel gespielt und Paul John von Jettel. Die zwei Erzählebenen des Dramas Die Ratten verflechten sich somit in Spittas Bühnenstück aufs Engste miteinander: das Spiel im Spiel wird ein Spiel von Vorstellung und Wirklichkeit. Dies geht so weit, dass sich der Kinderwunsch der Figur Jette John auf Therese Hassenreuter zu übertragen scheint – oder ist es umgekehrt?

 

Die Geschichte um Mutter John, Pauline Piperkarcka und das Baby wird aufgegriffen, vom Film auf die Bühne transponiert und sozusagen seriell fortgeschrieben: Jette John trifft sich mit der Piperkarcka in ihrer Küche, Jette schmeißt Selma raus, Paul John liebt sein Kind – und dann passiert das, was sich bereits angekündigt hat: Piperkarcka kommt zurück und will ihr Kind sehen. Die „Lügen-Welt“ der Mutter John droht zusammenzubrechen, sie muss einen Plan fassen, einen Ausweg finden; vielleicht kann ihr „verkommener“ Bruder Bruno dabei helfen. In dieser, aus heutiger Sicht geradezu klassisch zu nennenden Spielart in seinem zweiten Experiment geht der Regisseur Spitta den Weg Hauptmanns: Eine starke Dramatik, von Figuren getragen; einprägsames Spiel, psychologischer Realismus: „Ein Fest für eine unglückliche Schauspielerin!“ – und reine Katharsis für den Zuschauenden.

 

„Seelische Vorgänge, psychologische Wandlungen, charakteristische Stimmungsverschiebungen, das in den Begriff der dramatischen Handlung hineinzuziehen, halte ich für eine der wesentlichsten und gewinnbringendsten Aufgaben der künftigen dramatischen Dichtung. In der Vervielfältigung der charakteristischen psychologischen Nuancen sehe ich ein fruchtbringendes Feld für den dramatischen Dichter.“ (Gerhart Hauptmann)

 

Spitta erhält Kritik von beiden Seiten: Harro Hassenreuter findet das Stück aufgrund seiner schauspielerisch-handwerklichen Leistung zwar beachtlich, aber gleichzeitig fehlen ihm Anteile seines eigenen idealistischen Kunstprogramms, in dem die Kunst vom Formen, vom Aufbau, von der Überhöhung geprägt zu sein hat und alles psychologisch wirksame (und private...) verdrängt werden oder einfach nicht zum Tragen kommen sollte. Die andere Seite der Kritik wird vertreten von den Düsseldorfer Müttern der Gegenwart: Von Spitta befragt, haben sie als „Vertreterinnen der realen Gegenwart“ durchaus Einwände gegen die auf der Bühne dargestellten Frauenfiguren. Warum diese so pathologisch seien? und woher ihre Unvernunft überhaupt käme? Die Theaterfiguren der "echten und authentischen" Frauen sind nun das auslösende Ereignis für den Künstler und Autor Erich Spitta, der eine neue ästhetische Form sucht. Diese soll in der Lage sein, die unsichtbaren sozialen Strukturen hinter der Not der Figuren aufzuzeigen, und in die Gesamterzählung einzubeziehen.

 

„Um den V-Effekt einzusetzen, muß der Schauspieler die restlose Verwandlung in die Bühnenfigur aufgeben. Er zeigt die Figur, er zitiert den Text, er wiederholt einen wirklichen Vorgang. Der Zuschauer wird nicht völlig ‚in den Bann gezogen’, seelisch nicht gleichgeschaltet, nicht in eine fatalistische Stimmung dem vorgeführten Schicksal gegenüber gebracht.“ (Bertolt Brecht)

 

Wenn man die Realität als Richtlinie nimmt, geht es doch nicht darum, auf eine realistische Ästhetik abzuzielen. (frei nach Kant)

 

Experiment III: Hauptmann – Brecht – Postmoderne

 

Spitta beginnt nun das dramatische Material, die dramatische Handlung selbst zu befragen. In seinem nächsten Bühnenexperiment in Serie schreibt er zwar auf der Handlungsebene die Geschichte der Jette John fort – das Drama nimmt seinen Lauf als Bruno mit einer erschreckenden Nachricht zurückkommt... – dabei greift der Regisseur Spitta in seiner ästhetischen Umsetzung auf das für ihn neue Mittel der Abstraktion zurück: Dem bürgerlichen Individuum wird ein Kollektiv entgegengesetzt, Schauspieler treffen auf Laien, die Figur der Jette John wird aufgespalten und multipliziert, die dramatische Situation generalisiert, das Sprachmaterial verfremdet, die figürlichen Haltungen werden ausgestellt und das Bühnenbild wird symbolisch aktiviert. Spitta setzt den Sprech-Chor ein, um gesellschaftliche Widersprüche und textliche Inhalte besser verdeutlichen zu können, als wie es durch einzelne Figuren möglich ist. Der szenische Versuch erhält dadurch eine politische Dimension.

 

Frau John Was lässte mich // jahrelang // allein Paul ? Wo ich / in mein Käfig sitzen muss / und kein Mensch nich is , mich ma / auszusprechen / Manch liebes Mal / hab ich / hier gesessen und gefragt . warum / dass ich immer rackern tu , / Groschen / mühsam . zusammenscharre , / dein Verdienst / gut anlege , / und wie ich auf jede Art / was zuzuverdien . mir abgrübeln tu / Warum denn ? / Paul // du hast mich zugrunde gerichtet !

 

Durch Arbeit mit einem Chor in der Aufführung Spittas kommt es nun aber auch zu einem paradoxen Berührungspunkt in den künstlerischen Programmen Spittas und Hassenreuters. Hassenreuter hatte sich in seiner Braut von Messina Inszenierung nicht nur auf Goethe, sondern auch auf die Theorie Schillers bezogen:

 

„So wie der Chor in die Sprache Leben bringt, so bringt Ruhe in die Handlung. – aber die schöne und hohe Ruhe, die der Charakter eines edlen Kunstwerks sein muß. Denn das Gemüt des Zuschauers soll auch in der heftigsten Passion seine Freiheit behalten; es soll kein Raub der Eindrücke sein, sondern sich immer klar und heiter von den Rührungen schieden, die es erleidet.“ (Friedrich Schiller: Über den Gebrauch des Chores in der Tragödie)

 

Insofern verwundert es nicht, dass nun Hassenreuters Interesse an der Arbeit seines Konkurrenten in einer neuen Weise geweckt wird. Hassenreuter, der die ganze Zeit über, zwar im Hintergrund aber mit Vehemenz, seine Karriere verfolgt hat – was nun mit Erfolg durch die Beförderung vom Künstler-Regisseur zum Kultur-Kurator gekrönt wird – muss sich überlegen, wie er die kritische Haltung seines Konkurrenten entweder ausschalten, oder alternativ vereinnahmen kann. Hassenreuter erarbeitet sich als frisch gebackener Intendant nun ein Programm, in dem sich sein Programm des Idealismus kurzschließt mit der Sprache der Unternehmenskommunikation und Aufmerksamkeitsökonomie. Nach einer letzten Auseinandersetzung der beiden Künstler Hassenreuter und Spitta, die an die Debatte des Anfangs anschließt, muss Spitta sich entscheiden, ob er die im Verlauf seiner künstlerischen Entwicklung zunehmend gewonnene kritische Position von einem alles umschließenden Event-Theater vereinnahmen lässt, damit seine politische Intention zu reinem Effekt reduzieren und folglich sich und seine Kunst nur noch selbst zitieren würde – oder nicht.

 

„Die Konsequenzen kann man auf dem Theater heute beobachten: Es ist ein unglaublich virtuoses Theater, ein unglaublich effektsicheres Theater, es herrscht ein technisch ausgefeiltes Können oder strategisches Nichtkönnen, aber es ist alles nur noch Zitat. Und zwar das Zitat einer äußerlichen Wirkung, die sich komplett abgelöst hat von einer Haltung zur Welt.“ (Bernd Stegemann)

 

Spitta: „Das tragische Geschehen ist sinnlos, alles wankt und doch wankt nichts. Die Dummheit ist die Mutter der Tragödie.“

 

UND SPITTAS ENTSCHEIDUNG FÄLLT: BÜHNE FREI FÜR EINEN NEUEN TEXT!

 

Experiment IV: Chor der alleinerziehenden Mütter aus Düsseldorf

 

 

Foto: Sebastian Hoppe